Die Präzession und das Wassermannzeitalter III
Hat es tatsächlich zweitausend Jahre gedauert?
Nach allem, was bisher erörtert wurde, möchte ich noch einmal kurz das Problem darstellen: Tierkreisbilder und Sternzeichen verschieben sich gegeneinander, dieser Vorgang heißt Präzession.
Ist es nicht unglaublich, unbegreifbar, phantastisch, was man daraus alles machen kann? Dabei ist das Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht, einiges ist noch offen und es gibt noch weitere beachtenswerte Gesichtspunkte. Ich fasse zur besseren Orientierung stichwortartig zusammen, was WIECHOCZEK, bisher Erarbeitetem gemäß, in seinem ersten Kapitel für Hinweise zur - und Einwände gegen die Astrologie vorbringt.
1.) Man muß zwischen Tierkreisbildern und Sternzeichen unterscheiden.
2.) Astrologen erkennen keine Zeichen, sie sprechen von Energie- und Symbolfeldern.
3.) Sternzeichen lassen sich nicht beweisen.
4.) Warum sollen Sternzeichen einen Einfluß auf das menschliche Leben haben, und nicht alle Fixsterne?
5.) Zwar bewegen sich die Planeten in der Nähe der Ekliptik, aber es ist plausibler, dominante Sternbilder zu deuten.
6.) Einige Fixsterne werden von Astrologen berücksichtigt, z. B. Algol.
7.) Algol ist von der Ekliptik weit entfernt.
8.) (Jedoch) die Ekliptik bleibt Bezugsebene der Astrologie.
9.) Es gibt auch eine astrologische Strömung, die [von sich glaubt] den Tierkreis widerlegt [zu haben].
10.) Warum werden nicht auch dem Äquator der Milchstraße Aussagen abverlangt?
11.) Sternbilder sind der menschlichen Phantasie entsprungen. Durch die Eigenbewegung der Sterne lösen sie sich mit der Zeit auf.
12.) Daher ist es ungerechtfertigt, Sternbilder zu deuten.
13.) Es entsteht eine unvertretbare Widersprüchlichkeit: bei den globalen Aussagen kehrt die Sterndeutung, die sich zuvor konsequent vom astronomische Tierkreis löste, zum Sternbildertierkreis zurück.
Dies ist nur ein mögliches Sinngeflecht verschiedener Varianten. Dabei will ich es bewenden lassen und mich der Frage widmen, warum Astrologen nun, abgesehen von dem Hinweis, ein physikalischer Einfluß der Fixsterne auf den Menschen sei nicht nachweisbar, bzw. vernachlässigbar gering, keine Fixsternpositionen für die Deutung verwenden sollen.
- Die Fixsterne sind zum Teil weit von der Ekliptik entfernt, diese aber ist Bezugsebene der Astrologie.
- Warum darf nun die Ekliptik nicht in Sternzeichen eingeteilt werden?
- Sternzeichen lassen sich nicht beweisen und wurden sogar astrologisch widerlegt [?].
- Also sollen die Tierkreisbilder gedeutet werden?
- Nein, es gibt auch andere dominante Sternbilder.
- Dann werden also besser alle Sternbilder in ein astrologisches System einbezogen?
- Nein, die Sternbilder sind lediglich ein Produkt der menschlichen Phantasie, sie verändern sich darüber hinaus bis zu ihrer Auflösung.
- Dann ist es vielleicht doch besser, sich nur auf die Ekliptik zu beschränken?
- Man könnte genausogut dem Äquator der Milchstraße Aussagen abverlangen.
- Wie soll das geschehen?
- Man wählt ihn als Bezugsebene.
- Wodurch wird der Äquator der Milchstraße definiert?
- Die Milchstraße besteht aus etwa einhundert Milliarden Fixsternen, diese drehen sich um ein Zentrum. Durch die Drehung um dieses Zentrum wird der Äquator der Milchstraße definiert.
- Sollte man dann nicht auch die Fixsterne in die Deutung einbeziehen?
- Nein, diese sind zum Teil sehr weit vom Äquator der Milchstraße entfernt, außerdem könnte man genausogut der Ekliptik Aussagen abverlangen.
Ganz offensichtlich liegt das Problem darin, daß ein räumlicher Sachverhalt nicht in der Ebene dargestellt werden kann, es ist nicht möglich, eine ,Bezugsebene’ zu wählen, die stellvertretend für den Raum in irgendeiner Weise eingeteilt wird. WIECHOCZEKS Schwierigkeit, nachzuvollziehen, was mathematisch senkrechte Projektionen sind, wird eklatant offenbar - das zeigt sich auch darin, daß er die Deklination Algols für die ekliptikale Breite Algols hielt, oder den Unterschied nicht kannte, oder nicht wußte, wie man die Koordinaten transformiert, oder nicht wußte, daß sie überhaupt transformiert werden können, oder dachte, es merke sowieso keiner und nur zu faul war, seinen Taschenrechner einzuschalten oder an geeigneter Stelle nachzulesen. Wenn es aber so sein sollte, daß eine Teilung der Ekliptik nicht eine Teilung des Raumes ist, dann ist ein Widerspruch zu seiner Behauptung, die Häuser seien eine weitere Teilung des Himmels, gegeben (ebenda, S. 21, vgl.: Die astrologischen Häuser).
Nun ist ja die Frage nach der Verwendung von Fixsternpositionen in der Astrologie, solange es nicht eine Frage der Verwendung der Tierkreisbilder ist, eine eher nebensächliche Angelegenheit. Immer spielen die Planetenpositionen in der Deutung eine erheblichere Rolle. Allerdings sind die Bahnen im Raum so angeordnet, daß sie keine gemeinsame Ebene bilden. Um die Position dieser (und anderer) Himmelskörper zu einem gegebenen Zeitpunkt (unter Vernachlässigung ihrer wahren Entfernung) darzustellen, bieten sich mehrere Koordinatensysteme an. 1 Ich wiederhole mich: Bezüglich der Planetenpositionen bietet sich das ekliptikale System deswegen an, weil hier die erforderlichen Projektionen die kürzesten sind, also eine zweidimensionale Darstellung den räumlichen Gegebenheiten am ehesten enspricht. Zur Koordinatenangabe bedarf es einer Einteilung, hier gibt es zwei Möglichkeiten: eine mathematische oder eine optische Einteilung. Abgesehen davon, daß zur Bestimmung der Position der mathematischen Einteilung der Ekliptik (oder des Himmelsäquators oder des Äquators der Milchstraße) immer der Vorzug gegeben werden muß, ist die optische Einteilung in Sternbildregionen bei einer graphischen Darstellung der Planetenpositionen ebenso plausibel. Ich betone: Hier geht es nicht um die Frage einer möglichen Deutung, sondern lediglich um die Frage, wie räumliche Gegebenheiten darzustellen sind. Nun hat man sich in der Astrologie, aus was für Gründen auch immer, für das ekliptikale System entschieden und verwendet es für die Deutung als Grundlage.
Ich halte es weder für eine berechtigte, noch für eine vernünftige Frage, gebe aber zu, daß sie mir Schwierigkeiten bereitet:
Von einer "Deutung räumlicher Verhältnisse“ bleibt beschämend wenig übrig, kann doch kein Astrologe sagen, in welcher Entfernung zu uns sich der Tierkreis und der Häuserkreis befinden [sic!] (WIECHOCZEK, S. 104).
Aber grade über die Entfernung des symbolischen Tierkreises (wie auch des Häuserkreises) können uns die Astrologen nichts sagen (WIECHOCZEK, S. 182).2
Ich muß ja jetzt begründen, warum das Blödsinn ist, und will mich nicht mit WIECHOCZEK auf die von ihm vorgeschlagenen 36.000 km (ebenda, S. 22) einigen. Vielleicht hilft ein Vergleich: Betrachtet man eine Fotographie, so kann man das Objekt auch erkennen, ohne daß man weiß, wie weit es zum Zeitpunkt der Auslösung vom Objektiv entfernt war. Man ,deutet’ die zweidimensionale Darstellung eines räumlichen Sachverhaltes. Dieser Vergleich macht lediglich plausibel, daß die Entfernung keine Rolle spielt, bei einer Fotographie kann man allerdings, wenn man die Daten des Objektivs und den Winkel kennt, die Entfernung im Nachhinein ermitteln. Den Hinweis, daß in Wirklichkeit nicht ,räumliche Verhältnisse’, sondern ,Bewegungsverhältnisse’ gedeutet werden, darf man durchaus als etwas lahme Ausrede betrachten, obwohl ich mich hier (auch wenn ich es gar nicht möchte) auf das Grundsatzpapier zur Astrologie (bei WIECHOCZEK als Fotokopie, S 105 f.) stützen kann, das von verschiedenen astrologischen Vereinigungen, u.a. dem Deutschen Astrologenverband, unterzeichnet wurde. Das obere Zitat ist ein Einwand zur These 1, in der es heißt: "[Astrologie] ist die Deutung räumlicher Verhältnisse und zeitlicher Abläufe in unserem Sonnensystem" (meine Hervorhebung). WIECHOCZEK pflückt die Erklärung auseinander und versteht das ,und' trennend. Versteht man es hingegen verbindend, dann kann die Aussage in meinem Sinne interpretiert werden.
Damit ist die Auseinandersetzung mit den Infragestellungen des Großinquisitors zu diesem Thema beinahe beendet. Ich habe nun stets so getan, als sei der Hinweis auf die Entfernung Algols von der Ekliptik ein Einwand gewesen. Aus der Formulierung und dem Zusammenhang ergibt sich das, wie schon dargestellt, nicht zwangsläufig. Dieser Hinweis kann auch als Information am Rande aufgefasst werden, der für die Diskussion ohne Belang, wenn nicht gar störend ist, eben weil er dazu verleitet, ihn als Einwand zu betrachten. Dann ließe sich das Resume ziehen, beachtenswert seien für die Deutung neben den Positionen der Planeten evtl. auch die Positionen der Fixsterne, ohne daß die Frage nach einem geeigneten Bezugssystem gelöst ist.
Man darf aber bei alledem nicht vergessen, daß sich dem Kritiker vor allem zwei grundlegende Hindernisse in den Weg stellen. Das eine ist in der Natur der Sache begründet: In der Astrologie gibt es eine derartige Fülle von Ansätzen und Systemen, daß man auf beinahe jeden Einwand eine entsprechende Antwort finden kann, verschiedene astrologische Schulen widersprechen einander, so daß man zunächst nicht weiß, wogegen man sich zuerst wenden soll. Das zweite Hindernis ist psychologischer Natur: Wenn man nicht das geringste Verständnis für eine astrologische Denkweise aufbringt (das möchte ich an dieser Stelle nicht als Mangel verstanden wissen!), dann fällt es naturgemäß schwer, einen einigermaßen plausiblen Ansatz herauszukristalisieren und sich darauf einzuschießen. Man könnte dann die Nebenkriegsschauplätze en passant erledigen.
Was aber ist der Gedanke, der der Diskussion in diesem Kapitel zugrunde liegt? Warum wird überhaupt die Präzession als ,Argument’ gegen die Astrologie vorgebracht? Der Tenor ist ja in etwa der: Die Astrologie legt Kriterien zugrunde, die seit zweitausend Jahren nicht mehr berechtigt sind, Widdergeborene sind mitlerweile Fischegeborene. Nun darf man den Kritikern folgende Frage stellen:
Hat denn die Astrologie vor zweitausend Jahren gestimmt, als eine Übereinstimmung der beiden Tierkreise noch gegeben war? 3
Damit erübrigt sich der Hinweis auf die Präzession als Einwand gegen die Astrologie. Er taugt lediglich als Einwand gegen das eine oder andere astrologische System. Es müssen andere Gründe gegen die Astrologie vorgebracht werden.
Ich glaube, es war AUGUSTINUS (354-430 n. Chr.), der zuerst die Präzession gegen die Astrologie ins Spiel brachte, und hoffe, nun einen endgültigen Schlußpunkt gesetzt zu haben.
Nächstes Kapitel
© Nils Chr. Hesberg 1998
E-Mail: nchesberg@t-online.de
Stand: 21. Februar 1998
Fußnoten zu: Die Präzession und das Wassermannzeitalter III
1) Vgl.: FRIEDRICH GONDOLATSCH, GOTTFRIED GROSCHOPF, OTTO ZIMMERMANN; Astronomie I - Die Sonne und ihre Planeten; Stuttgart, 1977, S. 20 f. ->
2) Ganz offensichtlich weiß WIECHOCZEK darüber besser Bescheid: Auf Seite 23 ff. behandelt er das Thema der Planetenregentschaft, das ist die Zuordnung der Planeten zu den Sternzeichen, beispielsweise Sonne-Löwe. Die Zuordnungen würden nun mit der Lage des Perihels gerechtfertigt, auf diese Erklärung sei er wiederholt gestoßen. Dabei gibt er nicht einen einzigen Hinweis auf eine Quelle und bei allen von ihm zitierten Astrologen, soweit sie mir vorlagen, fand ich diese Erklärung nicht (auch nicht bei anderen). Nun konstruiert er ein Argument gegen die Zuordnungen, das sich auf die dubios vorgetragene Erklärung stützt: Sonne und Mond haben kein Perihel, die Lage des Perihels der Planeten verändert sich im Laufe der Zeit und - das ist nun der Witz - in Sonnennähe ist der Planet ja gerade am weitesten vom "imaginären Tierkreis" entfernt, vielmehr sei doch eher eine Regentschaft bei Sonnenferne anzunehmen. ->
3) Der Fliegenbeinchenzähler wird nun einwenden, daß es auch damals keine vollständige Übereinstimmung gab, weil die Tierkreisbilder unterschiedlich groß sind. Die unterschiedliche Größe wurde aber erst in diesem Jahrhundert festgelegt. ->