Die Präzession und das Wassermannzeitalter I

Einführung

Historisch: HIPPARCH VON NIKAIA (um 150 v. Chr.) gilt allgemein als der Entdecker der Präzession, wie leicht einem beliebigen Lexikon zu entnehmen ist, z.B. dem Fachlexikon Wörterbuch zur Astronomie von JOACHIM HERRMANN1 .

Tatsächlich aber war das Phänomen der Präzession schon um 320 v. Chr. bekannt, und zwar unterschied der babylonische Astronom KIDINNU, der, wie andere babylonische Astronomen auch, u.a. bereits den Mond als Kugel mit einer Eigenrotation von der Dauer des synodischen Monats beschrieb, zwischen tropischem und siderischem Jahr (SCHNABEL2 nach GREßMANN3 , S. 5 f). Seine Schriften waren auch noch zur Zeit PTOLEMÄUS’ (um 120 n. Chr.) bekannt (GREßMANN, ebenda), zu vermuten ist, daß auch HIPPARCH sie gekannt hat. Bedenkt man, daß diese Information schon seit geraumer Zeit vorliegt, SCHNABEL nicht der einzige ist, der auf KIDINNU als Entdecker der Präzession hinweist (GREßMANN verweist auch auf MEISSNER4 , ebenda), erstaunt es, wie lange sich Irrtümer in der Wissenschaft halten können.

Mit ISAAK NEWTON war es dann möglich, das Phänomen der Verschiebung der Äquinoxialpunkte gegenüber dem Fixsternhimmel naturwissenschaftlich zu erklären. Nach NEWTON sind es die Anziehungskräfte der Sonne, aber auch des Mondes - und zu einem sehr geringen Teil die der Planeten - die auf den Äquatorwulst der Erde, dessen Zustandekommen ebenso von NEWTON durch die Fliehkraft erklärt wird, wirken. Da die Ebene des Erdäquators nicht mit der Ebene der Ekliptik zusammenfällt, entsteht eine Kreiselbewegung der Erdachse mit einer vollen Drehung in etwa 26000 Jahren. Diese Zeitspanne wird ,platonisches Jahr’ genannt. Um nun die wissenschaftstheoretische Diskussion, die ja nebenher auch geführt werden muß, nicht aus den Augen zu verlieren, sei hier angemerkt, daß NEWTONS Erklärungen genaugenommen lediglich eine gute Annäherung sind, strenggenommen aber falsch, legt man Maßstäbe wie ,Übereinstimmung mit Beobachtungen’ (Empirismus) und Einfachheit an. Die Vorschläge EINSTEINS sind zum einen genauer, zum anderen in der Konzeption einsehbarer (so geht es jedenfalls mir 5 ). Allerdings können auch sie nur als bessere Alternative gelten, so sind nicht alle Reststörungen der Periheldrehung des Merkur durch EINSTEIN erklärt, geschweige denn die der Abweichungen der Knotenbewegungen von Venus und Mars; auch bei der Ablenkung des Lichtstrahls in einem Gravitationsfeld ergeben sich Unterschiede zwischen Theorie und Beobachtung6 . Diese äußerst geraffte Darstellung einiger theoretischer Schwierigkeiten innerhalb der modernen Physik will lediglich besagen, daß die Welt noch nicht erklärt ist, daß der Empirismus eine sehr untergeordnete Rolle spielt, denn man arbeitet - mangels Alternativen - mit dem, was man hat, so unvollkommen es auch sein mag. Nach NEWTON wäre die Welt determiniert, wie man zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts zu glauben geneigt war - und das käme der Astrologie sogar entgegen! Nun stellt sich aber heraus, daß man noch nichts genaues weiß.7 Unter diesem Gesichtspunkt ist in der Wissenschaft eventuell auch Platz für die Astrologie, ob sie nun empirisch vorgeht oder nicht.

Die Ekliptik als astronomischer Meßkreis

Die skizzierten Schwierigkeiten der Physik sind aber nichts im Vergleich zu den Schwierigkeiten derjenigen, die sich mit dem Problem der Präzession im Zusammenhang mit der Astrologie auseinandersetzen. Dabei handelt es sich prinzipiell um einen verhältnismäßig leicht zu begreifenden Vorgang: Die Tierkreiszeichen verschieben sich gegenüber dem Fixsternhimmel, der von der Astronomie dergestalt eingeteilt wurde, daß die zwölf Tierkreisbilder etwa in der gleichen Ebene liegen, wie der Zeichentierkreis auch. Diese gemeinsame Ebene definiert sich durch die Bahn der Erde um die Sonne. Wenn man nun in dieser Ebene einen Kreis beschreibt, in dessen Mittelpunkt die Erde steht, ihn in 360° einteilt und den Beginn der Zählung auf den Frühlingpunkt setzt, das ist der Punkt, in dem die Sonne steht, wenn auf der Nordhalbkugel das Frühjahr beginnt, dann kann man auf diesen Kreis Gestirnspositionen projizieren. Dieser Kreis heißt Ekliptik und die erhaltenen Positionen heißen die ekliptikalen Örter der Gestirne mit ekliptikaler Länge und Breite. Dabei spielt die Entfernung des Objekts keine Rolle, denn die Positionsangaben dienen lediglich zum Auffinden eines Ortes auf der Himmelskugel, der Radius der Ekliptik ist also beliebig. Theoretisch kann man auch eine andere Einteilung als die oben aufgeführten Altgrad nehmen, aus traditionellen Gründen hält man allerdings an der alten Einteilung fest. Das hier dargestellte System ist in der Astronomie nur noch sehr wenig gebräuchlich, es bildet aber nach wie vor noch die Grundlage zur Berechnung der Planetenpositionen, die Koordinaten werden erst später in eines der äquatorialen Systeme oder in das horizontale System transformiert8 . Wenn nun die Ekliptik in zwölf gleich große Abschnitte eingeteilt wird, dann geschieht dies aus Gründen der Übersichtlichkeit, Winkelabstände von Gestirnen lassen sich schnell erkennen, beispielsweise eine Position im ersten Abschnitt auf 7° bildet einen rechten Winkel zu einer Position auf 7° im vierten Abschnitt. Wenn es sich hier um die Positionen von Sonne und Mond handeln würde, könnte man erkennen, daß Halbmond ist9 . Bei einer anderen Teilung, beispielsweise in zehn Abschnitte, würde man diese Übersicht verlieren, die Position von 7° im ersten Abschnitt bildet einen rechten Winkel zu einer Position auf 25° im dritten Abschnitt, behält man die Teilung in Altgrad bei; eine Teilung in Neugrad würde nicht viel ändern: eine Position auf 7° im ersten Abschnitt bildet einen rechten Winkel zu einer Position auf 27° im dritten Abschnitt.

Für astronomisch nicht Versierte möchte ich anhand der Kalendermonate demonstrieren, wie eine weitere Teilung der Ekliptik die Übersicht erhöht. Angenommen, man teilt das Jahr nicht in Monate ein, dann hätte man bei Datumsangaben vielleicht etwas wie: heute ist der 273. neunzehnhundertsoundso. Ist jetzt Herbst? Beginnen die Ferien? Ist das der erste Advent (wenn es ein Sonntag wäre)? Sicherlich könnte man sich daran gewöhnen, aber schön ist das nicht. Die zwölf Kalendermonate finden in der Astronomie ihre Entsprechung in den zwölf sogenannten Sonnenmonaten, das sind die Zeiträume, die die mittlere Sonne für den Durchlauf der einzelnen gleich großen Ekliptikabschnitte benötigt, und sie sind jeweils etwas mehr als dreißig Tage lang. Dabei ist der Anfangspunkt der Zählung gegenüber dem bürgerlichen Kalender versetzt, da das bürgerliche Jahr nicht im März, sondern im Januar beginnt.

Bei dem hier dargestellten ekliptikalen System handelt es sich um eine Konvention, deren Zweckmäßigkeit zuletzt auch darin liegt, daß die Projektionen der großen Körper des Sonnensystems im Normalfall kürzere sind, als bei anderen Systemen, und somit als zweidimensionale Darstellung dem dreidimensionalen Sachverhalt am ehesten entsprechen. Durchaus könnte man auch die Äquatorebene der Sonne als Projektionsebene verwenden, man kann die Daten von dem einen in das andere System transformieren und es spielt keine große Rolle, für was man sich entscheidet, die astronomischen Vorteile des ekliptikalen Systems konnten, glaube ich, hinreichend dargestellt werden. Um ein Fernrohr auf ein bestimmtes Objekt auszurichten, ist dieses System nicht sonderlich gut geeignet, man müßte schon für jeden Zeitpunkt für den entsprechenden Beobachtungsstandpunkt die Lage der Ekliptik kennen, was innerhalb der Polarkreise bisweilen Schwierigkeiten provoziert.

Damit sind zwar schon einige, aber noch nicht alle für das Folgende notwendigen astronomischen Begriffe erklärt, ich entscheide mich dafür, das im jeweiligen Zusammenhang nachzuholen. Im Prinzip stehen aber diese astronomischen Informationen im Buchhandel oder in den Bibliotheken in mehr oder weniger ausführlicher Weise in Form von populärastronomischen oder fachspezifischen Werken zur Verfügung. Offensichtlich aber wird dieses Angebot viel zu selten wahrgenommen, denn mir bliebe einige Mühe erspart, obwohl das noch der leichteste Teil der Pflicht ist.

Wenn EDGAR WUNDER also fragt, warum es zwölf Tierkreiszeichen gebe (vgl. Einleitung), dann habe ich diese Frage hier, glaube ich, so weit wie möglich beantwortet, wenn ich ergänze, die oben beschriebene Einteilung der Ekliptik in zwölf gleich große Abschnitte ab Frühlingspunkt definiert die Tierkreis- oder Sternzeichen. Die Frage ist allerdings, ob er das gemeint hat, denn er ist der Auffassung, es gäbe dafür in der Astronomie keine Entsprechung. Man kann noch anführen, daß eine astronomische Entsprechung in den zwölf Tierkreisbildern, den Sternbildern des Tierkreises gegeben ist, und auf den Einwand, die Lage der beiden Kreise würde in Folge der Präzession nicht mehr übereinstimmen, erwidern, daß es dennoch einen astronomischen Sachverhalt darstellt, weil es mal einen Zeitpunkt gab, an dem die Kreise übereingestimmt haben - und zu diesem Zeitpunkt war der Fixsternhimmel noch nicht in der Weise eingeteilt, auf die man sich in diesem Jahrhundert geeinigt hat. Aber all das ist nicht zwingend, was meint oder will EDGAR WUNDER? Eine Einteilung, gleich welcher Art, gleich welchen Gegenstandes, ist immer eine Frage des Kalküls, eine Frage, was man sich von einer Einteilung verspricht. Die Frage zeigt nur eines, nämlich daß WUNDER nicht überlegt hat, als er sie formulierte, es läßt sich keine Antwort in der aus der Formulierung provozierten Weise auf sie finden - anders ausgedrückt: die Frage ist unbeantwortbar. Wenn EDGAR WUNDER, bzw. die GWUP, deren Mitglied er ist, Wissenschaft definiert in der Weise, daß nur Theorien oder Hypothesen zulässig sind, die sich empirisch prüfen lassen10, dann hat er bei der Formulierung seiner Frage vergessen, daß Wissenschaft auch bedeutet, nur theoretisch beantwortbare Fragen zu stellen.

Astronomisch dient eine Zwölferteilung der Ekliptik also lediglich Meßzwecken:

All das erhellt, daß die Sternzeichen nicht allein vor dem „Hintergrund der astrologischen Ideologie verstehbar sind“, wie Wunder meint (EDGAR WUNDER; Astronomie und Astrologie; www1.arcs.ac.at/baa/alrukaba/02/01.htm, Stand 28.12.1997).

Die Ekliptik als Anordnung von Fixsterngruppen

Betrachtet man den nächtlichen Himmel, so gewinnt man den Eindruck einer Kuppel, die mit leuchtenden Punkten besetzt ist. Diese Punkte, meist Fixsterne, lassen sich zu Gruppen, den Sternbildern, willkürlich zusammenfügen. Im Laufe der Zeit einigte man sich auf bestimmte Anordnungen, denen man Namen gab. Zwölf dieser Sterngruppen, die sogenannten Tierkreisbilder, zeichnen sich durch eine Besonderheit aus: Im Laufe eines Jahres überdeckt die Sonne nacheinander jedes dieser Sternbilder. Im Gegensatz zu den Sternzeichen lassen sich die Sternbilder je nach Jahreszeit und Beobachterposition tatsächlich beobachten. Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts teilte die Astronomische Union (AU) den Fixsternhimmel in 88 12 Sternbilder so ein, daß auch der Schlangenträger einen Teil der Ekliptik ausmacht. Das bedeutet aber nicht, daß nun der Schlangenträger den Tierkreisbildern zugerechnet werden muß:

Anschließend wird in einer Tabelle, die die unterschiedliche Verteilung der Sternbilder, die von der Ekliptikebene durchdrungen werden, veranschaulicht, die Ausdehnung des Tierkreisbildes Skorpion auf dem ekliptischen Meßkreis14 mit 25° angegeben. Nach der neuen Einteilung hat der Skorpion nur noch 5° Anteil, der Schlangenträger die restlichen 20°. Die Jungfrau hat mit 44° den größten, und - wenn man die Skorpion-Schlangenträger-Problematik vernachlässigt - der Krebs mit 20° den kleinsten Anteil auf der Ekliptik. Es ist also ungenau formuliert, wenn WIECHOCZEK schreibt, der Ekliptikabschnitt des Skorpion sei besonders kurz.15

Zusammenfassend will ich den Unterschied zwischen Tierkreisbildern und Tierkreiszeichen so formulieren: Die Tierkreisbilder sind Sternbilder am Nachthimmel und lassen sich beobachten, die Tierkreiszeichen sind Bezeichnungen von Abschnitten auf dem ekliptischen Großkreis, man kann sie nicht sehen.

Dann möchte ich noch betonen: Alles bisher dargestellte hatte noch nichts mit Astrologie zu tun. Einige der bisher erörterten astronomischen Gegebenheiten bilden lediglich die Grundlage für bestimmte astrologische Annahmen, die noch zu besprechen sein werden.

Im weiteren Verlauf werde ich konsequent die Bezeichnungen ,Tierkreisbilder’ (für die sichtbaren Sternbilder von Widder bis Fische) und ,Sternzeichen’ (für die nicht sichtbaren Tierkreiszeichen von Widder bis Fische) verwenden, um den Unterschied auch optisch hervorzuheben, obwohl der Begriff ,Sternzeichen’ ungenau ist (der Orion ist ein Sternbild, es gibt aber für ihn kein Zeichen).

Weil sich nun die Anfangspunkte für die Zählung von Tierkreisbildern und Sternzeichen in Folge der Präzession verschieben, wird auf Sternkarten oder in Sternkatalogen immer angegeben, auf welches Äquinoktium, d.h. auf welchen Zeitpunkt, sich die Daten beziehen. Man kann dann mit Hilfe dieser Angabe frühere oder spätere Zustände errechnen. Zum Schluß dieses Abschnitts sei der Unterschied zwischen Tierkreisbildern und Sternzeichen noch einmal veranschaulicht:

Wenn die Sonne in ihrem scheinbaren Lauf den Ekliptikabschnitt erreicht, der das Sternzeichen Widder beschreibt, beginnt auf der Nordhalbkugel der Erde das Frühjahr. Daran wird sich über die Jahrtausende nichts ändern, das ist eine astronomische Tatsache. Würde sich beim Eintritt der Sonne in das Sternzeichen Widder eine totale Sonnenfinsternis ereignen, dann könnte man von dem Ort, von dem aus die Sonnenfinsternis beobachtbar ist, gegenwärtig diese Sonnenfinsternis vor dem Hintergrund des Tierkreisbildes Fische sehen, d.h. in der Himmelsgegend, in der sich Sonne und Mond befinden, sind auch einige Fixsterne zu sehen, die dem Tierkreisbild Fische zugerechnet werden. Verlegt man nun dieses hypothetische Ereignis in eine andere Zeit, etwa in den Beginn unserer Zeitrechnung, dann würde sich die Sonnenfinsternis vor dem Tierkreisbild Widder ereignen.

Nun will ich anhand einiger anschaulicher Beispiele demonstrieren, daß obige Ausführlichkeit und Umständlichkeit notwendig war.

„Der ursprüngliche Sinn der Sternzeichen“

Die Überschrift ist ein Zitat, unter demselben Titel erscheint unter members.aol.com/evkstbr/wissen/sterne.htm, Stand 01.01.1998, ein Artikel von HANSJÖRG KAMMERER, in dem es wild zugeht. Zunächst gebraucht er die Begriffe ,Sternbilder’ und ,Sternzeichen’ synonym zur Beschreibung ein und desselben Vorganges, nämlich der Erklärung, was die „Sternbilder“ als Fixsterngruppierungen für die Kalenderrechnung bedeuteten. Er betrachtet es als einen weiteren „Grund, astrologischen Aussagen mit Zurückhaltung zu begegnen“16, daß z.B. alle, die zwischen 22. März und 20. April geboren sind, nicht, wie die Astrologie behaupte, dem Sternzeichen17 des Widders zuzurechnen sind, sondern den Fischen. Er setzt hinzu, daß sich der Sachverhalt in etwa hundert Jahren ändert; alle, die nach astrologischer Meinung dem Widder zugeordnet werden, müßten dann eigentlich dem Wassermann zugehören. Hinter diesem Einwand verbirgt sich die Unkenntnis, was die astrologische Aussage, jemand sei Widder, bedeutet. Sie bedeutet nichts anderes (zunächst), als daß der Betreffende in einer bestimmten Jahreszeit geboren wurde. Was die Astrologie daraus für Aussagen ableitet, spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle. Dann macht KAMMERER noch etwas sehr schönes: Er behauptet, den Sternkundigen früherer Zeiten sei die Präzession unheimlich gewesen, sie hätten sie nicht erklären können und daher Mythen entwickelt, die den Vorgang der Präzession beschreiben. Er verweist auf die Argonautensage, auf das alte Testament.

Zu der Zeit, als diese Sagen entstanden, war die Präzession aber noch nicht entdeckt! Sicher, man kann diese Mythen, Legenden oder Sagen so deuten, daß sie eine Beschreibung der Präzession darstellen, aber das bleibt rein spekulativ.

KAMMERER ist deswegen ein Extrembeispiel, weil er durchgängig Tierkreisbilder und Sternzeichen verwechselt, wohl weil er nicht weiß, was Sternzeichen überhaupt sind. Es gibt andere, die das wissen, dann aber wieder vergessen. Das gilt nicht nur für Astrologiegegner, sondern auch und vor allem für Astrologen. Fast durch die Bank kommen letztere früher oder später ins Schleudern, wenn sie sich mit der Präzession beschäftigen. EYSENCK und NIAS brauchen nur zwei Sätze, um die Schwierigkeiten zu demonstrieren: „Zur Zeit des Ptolemäus stand die Sonne am Tag des Frühlingsäquinoktiums (21. März) im Sternbild des Widders [...]. (Als nächstes Zeichen ist der Wassermann an der Reihe [...])“18 [meine Hervorhebung]. Was hier möglicherweise als Übersetzungsfehler gedeutet werden kann, schafft PETER NIEHENKE sogar in nur einem Satz: Er begründet seine Auffassung, der Frühlingspunkt befinde sich im Tierkreisbild Wassermann, damit, daß die Tierkreisbilder in der Ebene der Sonnenbahn nicht klar voneinander trennbar seien, es sei „nicht klar entscheidbar, ob die Sonne sich noch in dem vorherigen oder schon im nachfolgenden Zeichen aufhält, da die Bilder sich gegenseitig überlappen“19 [meine Hervorhebung]. Aus dem Zusammenhang wird aber deutlich, daß es sich bei NIEHENKE lediglich um einen Flüchtigkeits- und nicht um einen Denkfehler handelt, die astronomischen Zusammenhänge stellt er verständlich und richtig dar - und er meinte hier, daß die Projektionen der (vertikalen)20 Tierkreisbildergrenzen auf die Ekliptik sich gegenseitig überschneiden. So betrachtet hat er recht: die Sonne oder der Frühlingspunkt kann in zwei Tierkreisbildern gleichzeitig stehen. Zunächst dient dieses Beispiel aber nur der Demonstration, wie schnell man Tierkreisbilder und Sternzeichen durcheinander zu mischen in der Lage sein kann; eine kleine Unaufmerksamkeit - und schwups! - ist es passiert. Schlimmer ist es aber, wenn eine Denkungenauigkeit zugrunde liegt, wie etwa bei ARTHUR SCHULT, der zwar auf Seite 615 genau zwischen Tierkreisbildern und Sternzeichen zu unterscheiden imstande ist, dann aber wieder von einer 30°- Ausdehnung des Fixsterntierkreises (Tierkreisbilder) spricht und diese Bilder später durchgehend zu (Stern-)Zeichen werden läßt.21 Dabei bleibt er dann konsequent, wenn man ihm folgt, dann teilt er den Fixsternhimmel nach seinem Gutdünken (gegen die astronomische Konvention, die aber ebenso willkürlich ist) ein und deutet darauf los.

Die letzten vier Beispiele (Unkenntnis - Ungenauigkeit - Flüchtigkeit - der Wunsch, äußere Bedingungen der eigenen Auffassung anzupassen) sind aber noch nichts im Vergleich zu den echten Denkverstößen, derer sich WIECHOCZECK schuldig macht, zumal er auch die anderen Fehlerquellen bemüht. Ich werde nun die astrologische Konstruktion des Wassermann-Zeitalters besprechen und danach letzte Behauptung auf ein Fundament stellen.


Weiter

Inhalt

Homepage

© Nils Chr. Hesberg 1998

E-Mail: nchesberg@t-online.de

Stand: 22. Januar 1998


Fußnoten zu "Die Präzession und das Wassermannzeitalter I"

1) Bearb. Ausgabe, München, 1996; Titel der Originalausgabe: Bertelsman Lexikon Astronomie; Gütersloh, 1993. ->

2) SCHNABEL; Beressos und die babylonisch-hellenistische Literatur, Leipzig-Berlin 1923, S. 227 ff. ->

3) HUGO GREßMANN; Die hellenistische Gestirnsreligion - Beihefte zum alten Orient; Hrsg. Prof. Dr. WILHELM SCHUBART, Heft 5, Leipzig, 1926. ->

4) MEISSNER; Babylonien und Assyrien II, Heidelberg 1925, S. 418. ->

5) Gravitation als Kraft ist für mich schwerer einsehbar als Gravitation als Feld, obwohl man ,newtonschisch’ aufwächst und lernt, d.h. es muß nicht jedem so gehen. Das zeigt aber, daß einige wissenschaftstheoretische Maximen den Subjektivismus noch nicht eliminiert haben, daß es erlaubt ist, gutzuheißen, was einem gefällt. Dies führt dazu, Wissenschaft als Glaubenssystem einstufen zu müssen. ->

6) FEYERABEND beruft sich auf Rechnungen von CHAZY und DICKE (vgl.: PAUL K. FEYERABEND; Ausgewählte Schriften Bd. 1: Der wissenschaftstheoretische Realismus und die Autorität der Wissenschaften; Übs. Dr. HERMANN VETTER u. PAUL K. FEYERABEND, 1. Aufl., Braunschweig, 1978, S. 216), bzw. auf die Untersuchungen FREUNDLICHS im Jahr 1952 (vgl.: FEYERABEND, ebenda, S. 215). ->

7) Damit ist natürlich noch nicht das Ideal des Empirismus oder gar die Berechtigung seines Anspruchs ausgehebelt. Es ist lediglich skizziert, daß die Wissenschaft diesem Ideal nicht immer entspricht. ->

8) Auch galaktische Koordinatenangaben sind möglich, die verschiedenen Bezugssysteme haben gegenüber anderen Vor- und Nachteile, deren Einzelheiten zu erörtern hier zu weit führen würde. ->

9) Den Sonderfall vorausgesetzt, die ekliptikale Breite des Mondes sei Null. Wären die Längen auf ein äquatoriales System umgerechnet, ließe sich die Mondphase nicht erkennen. Die Einteilung des Mondlaufs in synodische, siderische, drakonische usf. Monate ist lediglich an einer subjektiv empfundenen Auffälligkeit orientiert. Nichts zwingt dazu, eine solche Einteilung vorzunehmen oder an ihr festzuhalten, abgesehen davon, daß wohl die allerwenigsten in der Lage sind, die Dauer eines drakonischen Monats - beispielsweise - auf die Stunde genau anzugeben. Der drakonische Monat definiert sich durch den Lauf des Mondes durch die Ekliptikebene von Süd nach Nord und dauert 27 Tage und wenig mehr als fünf Stunden (das mußte ich auch erst einmal nachschlagen). ->

10) Vgl.: www.gwup.org/br_begriffe.html. GWUP steht für: GESELLSCHAFT ZUR WISSENSCHAFTLICHEN UNTERSUCHUNG VON PARAWISSENSCHAFTEN. Wir würden immer noch auf den Bäumen sitzen, wenn der Mensch so vorgegangen wäre, wie es die GWUP auf ihre Fahnen schreibt: „Skeptiker in unserem Sinne sind keine Nihilisten, die grundsätzlich jede Aussage über die Welt anzweifeln. Vielmehr akzeptieren Skeptiker Hypothesen, die sich in vielen Prüfungen bewährt haben.“ (ebenda). Grade KOPERNIKUS als der Meilenstein in der Wissenschaft ist beredtes Zeugnis, daß Wissenschaft vor allem bedeutet, an Hypothesen festzuhalten, die sich nicht bewährt haben. Ihm war beispielsweise bewußt, daß es ein Beweis für sein System sei, wenn die Venus Phasen bilden würde wie der Mond. Nun lassen sich die Venusphasen erst mit optischen Hilfsmitteln auflösen, von denen KOPERNIKUS noch nicht einmal geträumt hat, und dennoch war er stets von seiner Theorie überzeugt, die angesichts des damaligem Hintergrundwissens erhebliche Mängel aufwies und rechnerisch zu schlechteren Resultaten führte, als die klassische Methode nach PTOLEMÄUS. Die Schwierigkeiten der kopernikanikanischen Theorie zu ihrer Zeit und auch noch zur Zeit KEPLERS und GALILEIS werden ausführlich behandelt und erläutert bei HANS BLUMENBERG, Die Genesis der kopernikanischen Welt; PAUL K. FEYERABEND, Wider den Methodenzwang; KURT HÜBNER, Kritik der wissenschaftlichen Vernunft.
WUNDER begründet seine Frage mit der Feststellung, es gäbe zu der astrologischen Zwölferteilung der Ekliptik keine astronomische Entsprechung. Das setzt vorraus, bzw. postuliert, daß, sollte die Astrologie, oder ihre Grundlagen, in irgendeiner Weise berechtigt sein, eine Verbindung zur Wissenschaft herstellbar sein müsse, also die Astrologie Wissenschaft zu sein hätte. Folgt man aber meiner provokanten These, Wissenschaft sei eine (verkümmerte) Form der Astrologie, wird WUNDERS Begründung seiner Frage hinfällig. Tatsächlich findet man in den astronomischen Sonnenmonaten eine Entsprechung zur Zwölfereinteilung der Ekliptik, die aus den astrologischen Grundlagen abgeleitet wurde. Einteilungen, die die Wissenschaft vornimmt, erhalten also erst eine Berechtigung, wenn sich dafür eine astrologische Entsprechung finden läßt. Das braucht die Astronomen aber nicht zu beunruhigen, die Astrologie ist in der Lage, für jede Absonderlichkeit eine Zuordnung zu finden. ->

11) FRIEDRICH GONDOLATSCH, GOTTFRIED GROSCHOPF, OTTO ZIMMERMANN; Astronomie I - Die Sonne und ihre Planeten; Stuttgart, 1977, S. 54 f). ->

12) Einige Werke geben auch 89 Bilder an, dort wird das Sternbild Schlange noch einmal unterteilt in den Kopf und den Schwanz der Schlange. ->

13) GONDOLATSCH, GROSCHOPF, ZIMMERMANN, ebenda, S. 55). ->

14) Die Formulierung ,ekliptischer Meßkreis’ ist zwar ungewöhnlich, stellt aber meiner Meinung nach den Sachverhalt deutlich dar. ->

15) REINHARD WIECHOCZEK; Uranus lächelt über Hiroshima - die horoskopierte Gesellschaft; Hrsg. Arbeitsgemeinschaft für Religions- und Weltanschauungsfragen, München, 1992, S. 9. ->

16) Was der erste Grund ist, wird nicht deutlich. Vielleicht meint er damit, die Aussage, zu einem bestimmten Sternzeichen zu gehören, sei eine „höchst subjektive Deutung“ (ebenda), daß aber bei den Fixsternen zunächst doch einmal an Objekte zu denken sei, die größer als unsere Sonne sind. Es zeigt sich, daß er den Unterschied zwischen Tierkreisbildern und Sternzeichen nicht kennt. ->

17) Das Problem KAMMERERS läßt sich wohl am ehesten begreifen, wenn man hier den Begriff ,Tierkreisbild’ einsetzt und feststellt, daß die Sonne tatsächlich nicht gleichzeitig in zwei Tierkreisbildern stehen kann, also hier dem Widder und dem Fisch. Aber das behauptet die Astrologie ja auch gar nicht. ->

18) HANS JÜRGEN EYSENCK, DAVID NIAS; Astrologie - Wissenschaft oder Aberglaube?; Übs. WILHELM HÖCK, München, 1982, S. 60. ->

19) PETER NIEHENKE; Kritische Astrologie - Zur erkenntnistheoretischen und empirisch psychologischen Überprüfung ihres Anspruchs; Diss., Freiburg i. Br., 1987. ->

20) Genaugenommen ist das aber Quatsch, denn die vertikalen Sternbildergrenzen bilden zur Ekliptik einen Winkel von ca. 23°, man müßte, folgt man NIEHENKE, auch die horizontalen Sternbildergrenzen projizieren. Dann entsteht aber ein wirkliches Durcheinander auf der Ekliptik. Möglicherweise ließen sich so Positionen finden, wo die Sonne in sogar drei Tierkreisbildern gleichzeitig steht. Das Problem ändert sich nicht grundsätzlich, wenn man entsprechend dem 23°-Winkel projiziert. ->

21) ARTHUR SCHULT; Astrosophie als kosmische Signaturenlehre des Menschenbildes - Umfassende Tiefenschau und Lehre der klassischen Astrologie; 3. Aufl., Bietigheim/Württ., 1982, Bd. 2, S. 605 ff. ->